Und jeder Satz beginnt mit: „Ey Digga …“
Ey Digga, das ist voll die Meditation!
Wenn Berliner Jugendsprache auf Zen trifft – ein sprachwissenschaftlicher Blick mit einem Augenzwinkern
Neulich im Bus. Berlin, irgendwo zwischen Hermannplatz und dem Gefühl, dass gleich jemand seine Bluetooth-Box einschaltet. Zwei Jugendliche unterhalten sich. Zunächst klingt es nach dem gewohnten Soundtrack urbaner Alltagskommunikation: „Ey Digga, weißt du wie krass?“ – „Ich schwöre, Bruder, das war geisteskrank.“ Ich gebe zu: Mein erster Impuls war der automatische Hörsturz.

Doch dann … horche ich plötzlich auf.
Denn einer der beiden erzählt, mit überraschend ruhiger Stimme und einer fast schon meditativen Ernsthaftigkeit, von seinen regelmäßigen Saunabesuchen. Davon, wie er sich danach in eiskaltes Wasser stürzt, wie das seinen Geist klärt, seinen Atem verlangsamt, ihn zur Ruhe bringt. „Das ist so auf ne Art wie Meditation, weißt du? Voll bewusst, voll im Jetzt und so.“ Und weiter geht’s: von einer Freundin, die einen echten Mönch kennt. Der hat ein Schweigegelübde abgelegt, mehrere Wochen geschwiegen, und sie war eine Zeit lang dabei – „krass still“, aber auch „heftig deep“.
Und jeder Satz beginnt mit: „Ey Digga …“.
Die Magie des Kontrasts
Da ist er – der Moment, in dem mein innerer Linguist leise applaudiert. Dieser krasse Kontrast: zwischen der vermeintlich »verlotterten« Jugendsprache und den tiefgründigen Inhalten, die da vermittelt werden. Zwischen dem rotzigen »Digga« und dem spirituellen Erfahrungsbericht. Zwischen Straßenslang und Selbstfindung.
Sprache ist eben nicht immer so, wie wir sie uns wünschen – aber oft genau so, wie wir sie brauchen. Und manchmal ist sie beides: überraschend und wahrhaftig.
Jugendsprache: Mehr als nur Slang
Was viele übersehen: Jugendsprache ist nicht kaputt. Sie ist lebendig. Sie ist kreativ, dynamisch, spielerisch. Und sie war schon immer ein Ort, an dem neue Ausdrucksformen entstehen. „Geisteskrank“ meint heute nicht unbedingt eine Diagnose – sondern ein Maximum an Intensität. „Bruder“ ist kein Hinweis auf die Familienstruktur, sondern auf emotionale Nähe. Und „Ey Digga“? Ein Platzhalter, ein Einstieg, ein Kommunikationsmotor.
Natürlich klingt das nicht nach Schiller. Aber wer sagt, dass Weisheit nur im Jambus kommt?
Wenn Zen auf Zwanzigjährige trifft
Es ist leicht, sich über diese Sprachformen lustig zu machen. Aber wäre es nicht viel spannender, sie zu analysieren? Zu verstehen, dass junge Menschen sehr wohl über Stille, Meditation, Kältebäder und persönliche Transformation sprechen – nur eben nicht im Feuilleton-Deutsch?
Vielleicht ist „Ey Digga, ich war so im Jetzt, weißt du?“ einfach die Version 2025 von „Ich spürte ein nie gekanntes Maß an Achtsamkeit.“
Ey Alter, ich schwöre, Pflege ist deep
Und als wäre das nicht schon genug für mein sprachliebhabendes Herz, ließ er ganz nebenbei fallen, dass er tagsüber 15 Stunden – fünfzehn! – in einer Alteneinrichtung arbeite. „Ey Digga, voll anstrengend manchmal, aber ich schwöre, die sind süß, weißt du?“ Und in meinem Kopf schlich sich da dieser eine freche Gedanke ein: Ob er die Bewohner dort wohl auch mit „Ey Alter …“ anspricht? Ich hoffe nicht – oder vielleicht gerade doch?
Er war jedenfalls einer dieser Menschen, die einem direkt sympathisch sind. Echtes Interesse an anderen, ein wacher Geist, ein reflektierter Blick auf sich selbst und die Welt – verpackt in eine Sprache, die irgendwo zwischen Berliner Kiez, Meme-Kultur und moderner Philosophie pendelte. Ein cooler Typ, ehrlich. Und sein Sprachgebrauch? Faszinierend. Eben genau die Sorte gelebter Sprachwandel, die zeigt, dass Tiefe und Authentizität kein bestimmtes Vokabular brauchen.
Sprachverfall oder Sprachwandel?
Die Idee, dass »die Sprache verfällt«, ist ein Klassiker – ungefähr so alt wie der erste Jugendliche, der sagte: „Alda, chill mal!“ Aber Sprache war noch nie statisch. Sie lebt, verändert sich, mischt sich, entwickelt sich weiter. Dass dabei nicht immer Goethe vom Himmel lacht, gehört dazu. Und ist auch gut so.
Fazit: Hinhören lohnt sich
Vielleicht sollten wir unsere sprachlichen Vorurteile öfter mal ins Eisbad schicken. Denn hinter einem „Ey Digga, das war wie ne Erleuchtung“ steckt manchmal mehr Tiefe, als wir erwarten.
Und wer weiß – vielleicht ist die nächste große spirituelle Erkenntnis nicht in einem teuren Retreat auf Bali zu finden, sondern auf der Rückbank eines Berliner Busses. Zwischen den Beats aus der Bluetooth-Box und dem nächsten „Bruder, real talk …“.
